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039 | Die geteilte Dorfherrschaft in Neuses am Berg

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Besonders in Franken ist es ein häufig zu beobachtendes Phänomen, dass v.a. Dörfer unter der Herrschaft mehrerer „Dorfherren“ aufgeteilt waren und auch von mehreren Herren verwaltet wurden. Ist dies der Fall, spricht man von einem Ganberbendorf bzw. einem Kondominatsort. Auch der kleine, 1330 erstmals schriftlich erwähnte Weinort Neuses am Berg war in den vergangenen Jahrhunderten zwischen verschiedenen Herrschaften aufgeteilt.

Für die Ritter von Dettelbach ist 1364 ein Hofgut in Neuses belegt. Auch das Zisterzienserkloster Ebrach, die Herren von Crailsheim, die Zollner von der Hallburg und die Abtei in Münsterschwarzach sind als Grundherren belegt. Die beiden größten Dorfherren waren aber der Fürstbischof von Würzburg und die Markgrafen von Ansbach.


Der Ansbacher Markgraf und der Würzburger Fürstbischof stellten jeweils einen Schultheißen in Neuses am Berg, die jährlich nach Dreikönig das „Rüggericht“ abhielten. Hierbei wurden Schmach, Steinfrevel, Schläge und Wunden verhandelt. Auch die Steuern und der Zehent wurde zwischen den Dorfherren je nach Zuständigkeit aufgeteilt.


Die Neuseser Bürger waren als Untertanen auf die Dorfherren aufgeteilt. Die sogenannten „Halbmänner“ waren hingegen zwei Herrschaften zu gleichen Teilen unterstellt.


Das 1574 erbaute Renaissance-Rathaus in der Dorfmitte ist Zeuge der geteilten Dorfherrschaft. So ist auch der Beratungstisch zweigeteilt. Auf der einen Seite schmückt das markgräfliche Wappen und auf der anderen Seite das würzburger Wappen als Intarsie die Tischplatte.


Die Aufteilung von Neuses am Berg zwischen dem katholischen Fürstbischof auf der einen und den sich ab ca. 1520 zum protestantischen Glauben bekennenden Markgrafen von Ansbach auf der anderen Seite führte oftmals zu Konflikten in dem kleinen Ort. Ein markantes Zeichen der geteilten Dorfherrschaft und der damit einhergehenden konfessionellen Spaltung sind die beiden sich stark ähnelnden Kirchen.


Seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 konnte die jeweils herrschende Obrigkeit über die Konfession ihrer Untertanen bestimmen. In Kondominatsorten wie Neuses am Berg führte dies schnell zu Problemen, denn die Einwohner des Dorfes gehörten durch die doppelte Dorfherrschaft entweder dem katholischen (Würzburger Untertanen) oder dem protestantischen (Markgräflichen Untertanen) Glauben an. Die kirchlichen Einrichtungen wurden von Katholiken und Protestanten gleichermaßen als Simultaneum genutzt. Dies führte auch unter der Bevölkerung zu Konflikten, nicht zuletzt wohl aufgrund der unterschiedlichen religiösen Riten und Gebräuche der beiden Konfessionen. Auch hatte die evangelische Kirchengemeinde 1589 Kirche, Pfarrhaus und Schule dem Ansbacher Markgrafen als Lehen übertragen.


Ein Schiedsspruch der in Nürnberg Tagenden Reichsdeputation bestätigte im Jahr 1650 den Neuseser Protestanten den evangelischen Glaubensstand und erhob Neuses zusammen mit 10 weiteren Gemeinden in der Umgebung zu einer sog. Gnadenpfarrei. Das bedeutete, dass die Gemeinde ihren Pfarrer selbst wählen durfte. Da der katholische Fürstbischof den evangelischen Pfarrer jedoch einsetzte und die Rechtsaufsicht ausübte, gingen die Streitigkeiten weiter, weshalb die „Gnadenpfarreien“ auch als sog. „Zankpfarreien“ bekannt sind. Nach 130 Jahren Rechtsstreit wurde am 28. Mai 1784 durch das Reichskammergericht in Wetzlar ein Vergleich geschlossen und die Vermögensverhältnisse geklärt. Hierbei wurde den Protestanten unter anderem die Kirche zugesprochen. Die Katholiken mussten die bis dahin gemeinsam genutzte Kirche verlassen und begannen den Neubau einer eigenen Kirche, die dem Hl. St. Nikolaus geweiht wurde.

Auch an der alten St. Nicolaikirche waren Baumaßnahmen erforderlich und die evangelische Kirche erhielt 1786 einen neuen Turm. Auf Grund der nahezu gleichzeitigen Baumaßnahmen an beiden Kirchen, ist die optische Ähnlichkeit der beiden Neuseser „Zwillingstürme“ zu erklären.


Der Ort hat auf Grund der konfessionellen Spaltung aber nicht nur zwei Kirchen, sondern auch zwei Pfarrhäuser, zwei Schulen, zwei Schmieden, zwei Bäckereien, zwei Wirtshäuser und zwei Kaufläden.


1879 bzw. 1914 wurden ein neues evangelisches und katholisches Schulhaus errichtet, weshalb der kleine Weinort heute vier ehemalige Schulgebäude vorweisen kann. Bis 1969 waren die beiden Bekenntnisschulen noch in Betrieb, bis sie in die Verbandsschule Dettelbach eingegliedert wurden.

Neuses am Berg ist also ein gutes Beispiel für die sogenannten Kondominatsorte oder Ganerbendörfer, die es auf Grund seiner zersplitterten Herrschaftsstrukturen besonders oft in Franken gab. Die beiden markanten Kirchtürme in Neuses machen die ehemals geteilte Dorfherrschaft besonders anschaulich.


Literatur: Ofenhitzer, Dieter: Das doppelte Dorf oder „Wes Fürst, des Glaub‘“. Die Geschichte der Nikolauskirchen in Neuses am Berg. Bauer, Hans: Dettelbach und seine Ortsteile, Kitzingen 1983. Andreas Flurschütz da Cruz, Ganerbschaft, publiziert am 1.8.2018; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ganerbschaft> (12.7.2024). Stier, Heinrich: Evang.-Luth. Kirche St. Nicolai Neuses am Berg.

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